Tag 3

3. Tag – Freitag, 24.10.2008     –     Reiebericht anhören und nebenher die passenden Bilder anschauen 🙂

 

Fischmarkt und Tokio

Mitten im Tiefschlaf zur besten Zeit – also um 4:30 Uhr reißt uns der Wecker unbarmherzig in einen Zustand, den man vielleicht mit körperlich anwesend beschreiben kann, aber nicht mehr 😉 Wir schaffen es trotzdem rechtzeitig zum vereinbarten Treff- und Zeitpunkt und machen uns auf den Weg mit der U-Bahn in Richtung Fischmarkt. Es ist äußerst beruhigend, dass unser Reisebegleiter dabei ist und sämtliche Gepflogenheiten kennt. Während die Fahrt noch den einen oder anderen Gedanken an fehlenden Schlaf wachwerden lässt, holt uns der Fußweg zum Fischmarkt schnell in einen hellwachen Zustand. Der Dauerregen trägt das Übrige dazu bei.
Glockenwach und hochkonzentriert, das ist jetzt auch von Nöten, denn was wir jetzt auf dem Fischmarkt erleben, das kann man sich nicht vorstellen. Unendlich viele kleine Fischstände, enge Korridore, rasende E-Wägelchen zum Transportieren von Waren, 1000e von Händlern, Verkäufern, Käufern, Auktionären, Schaulustigen. Wer hier nur einen Moment nicht aufpasst, wird über den Haufen gerannt. Meeresfrüchte verschiedenster Arten werden aufbereitet. Blutige Bottiche spiegeln das Spiel des vergangenen Lebens so mancher Fisch wieder. Einige halbtote, noch zuckende Fische wechseln in Tüten den Besitzer, riesige Thunfische werden für die Auktionen zersägt und vorbereitet. Ich weiß nicht genau, welches Gefühl die Oberhand hat: Entsetzen oder Faszination. Beim Gedanken daran, ein Teil dieser Tiere vielleicht schon bald im rohen Zustand zu verspeisen, ruft ein merkwürdiges Gefühl in der Magengegend hervor. Schließlich ist es 6:00 Uhr und die Auktionsschreier treten in Aktion. Palettenweise werden große Thunfischstücke an den Meisstbietenden angepriesen. Eine Mischung aus Tanz, Geschrei und Singsang sorgt für eine grandiose Atmosphäre.
Doch die Zeit läuft, der Magen ist leer und es hört nicht auf zu regnen. Deshalb ziehen wir uns auf dem schnellsten Wege zurück ins Hotel, wo auf uns ein Buffet wartet, das man zu jeder Zeit des Tages essen würde, nur nicht unbedingt zum Frühstück. Aber wir passen uns an, und so verschwinden Zwiebeln, Fische und andere deftige Dinge in dem hungrigen Schlund. Manches lässt sich nicht eindeutig definieren, aber wir probieren alles, um schnell festzustellen, nicht alles entspricht unserem Geschmack, manches kann auch wirklich gar nicht gegessen werden. Trotzdem ist das Frühstück überwiegend lecker und satt gemacht starten wir zu unserem nächsten Event.

Bus-Stadtfahrt, Besuch Mori-Building, Meiji-Schrein, Schifffahrt, Ginza, Sushi-Essen

Ein angenehmer Reisebus holt uns nun ab und fährt uns durch die Stadt Tokio, die langsam aber sicher zum Leben erwacht. An den Linksverkehr habe ich mich selbst als Zuschauer und Beifahrer noch nicht gewöhnt. Der strömende Regen verstärkt sich noch weiter zum Platzregen, der unsere Laune immer noch nicht beeinflusst, im Gegenteil, nun machen wir halt Bilder aus dem fahrenden Bus heraus. So eine riesige Stadt wie Tokio bietet natürlich einiges zum Knipsen an.
Trotz der Fülle an Fahrzeugen und Menschen entsteht niemals der Eindruck von Hektik, Unruhe und Stress – Die pure Faszination von japaneese way of life!
Das Mori-Building ist ein Multi-Komplex mit riesigen Ausmaßen. Bei einer Höhe von knapp 300m bekommt man auch einiges unter. Es finden sich hier Büro- und Geschäftsebenen, Kinos, Einkaufsmöglichkeiten, ein Museum und natürlich die 250m hoch gelegene Besucherplattform, die unser Ziel ist. Wir sind in der glücklichen Lage, dass die Wolken über uns sind, sprich, wir bekommen einen Blick auf Tokyo und Umgebung, der uns sprachlos werden lässt. Ich kann mich nur wiederholen, 32 Mio. Menschen brauchen Platz und müssen irgendwo leben. Ein Besuch im erwähnten Museum der modernen Künste erfüllt nicht ganz unsere Erwartungen, da sich unser Kunstverständnis nicht ganz deckt mit dem, was wir hier vorfinden.
Man könnte fast meinen, es gibt keine Arbeitslosigkeit in Tokio. An jeder Ecke sitzt oder steht jemand in Uniform und wartet darauf, helfen zu können oder einfach nur darauf hinzuweisen, dass das Fotografieren verboten ist. Alles ist hier sauber organisiert und straff durchstrukturiert.
In einer Höhe von rund 238m finden wir ein Thai-Restaurant. Gute Erinnerungen an zu Hause lassen uns nicht lange fackeln. Als dann die Worte „chicken“, „“thai-curry“, „coconut“ zu lesen waren, gab es am Bestellwunsch keine Zweifel mehr. Die Thai-Suppe erinnert mich an Tom Kha Gai und schmeckt auch tatsächlich extrem lecker. Was sonst noch so auf dem Teller liegt, ist zum Teil nicht zuordenbar. Tatsache ist, dass ich in einer Suppenschüssel halbrohe Hähnchenstücke finde, dazu breite, geschmacksfreie Nudeln, in einer Brühe die nur aus heißem Wasser besteht. Mit großer Mühe und Überwindung esse ich einige Löffel. Danach esse ich die paar Salatblätter, die sich ebenfalls auf dem Teller befinden und dazu noch recht gut schmecken. Zum Schluss finde ich noch ein Schälchen mit rotem und grünem Allerlei. Ein Löffel voll im Mund verursacht auf eine schnelle Art und Weise einen erhöhten Speichelfluss, der beim tapferen Runterschlucken für wohlige Wärme im Bereich von Speiseröhre und Magen sorgt. Könnten das Chili-Schoten gewesen sein? Die Bedienung sorgt für Aufklärung und schallendes Gelächter. Das waren die Gewürze für die geschmacksfreie Brühe …
Als nächster Besuchspunkt steht ein religiöser Schrein auf dem Programm. Dazu geht die Fahrt mit dem Bus weiter durch Tokio – Häuser, Beton, Autos, Menschen, und – wir wagen es ja fast nicht zu glauben, plötzlich biegt der Bus ab in einen Wald. Ja, ein Wald, mitten in Tokio. Das kommt überraschend, sorgt aber für einen schönen Ausgleich für das naturliebende Auge des Betrachters.
Der Meiji-Schrein ist eine Kultstätte der Shinto-Religion. Diese Religion hat nichts mit Buddhismus zu tun. Man sagt sogar, die Buddhismus-Tempel leeren sich, die Shinto-Stätten füllen sich. Das Heiligtum ist ein Bereich absoluten Tabus. Hier darf kein Mensch den Raum der Götter stören, der im Übrigen einfach nur leer ist. Die Gläubigen kommen hier her zum regelmäßigen Gebet. Man wirft Münzen in einen Opfertisch und weckt die Aufmerksamkeit der Götter zB durch mehrmaliges Klatschen in die Hände.
Da in Japan die Herbstzeit begonnen hat gibt es auch hier so etwas wie ein Erntedankfest. Auf langen Tischen wurden hier die Gaben des Landes zum Dank aufgereiht und ausgestellt.
Plötzlich ohrenbetäubende Paukenschläge, alles strömt in Richtung Opferstätte, wir sind gespannt. Es tauchen 2 Religionsmänner auf, im Schlepptau 5 Anzugsmänner, alle reihen sich vor dem Heiligtum auf um sich vielmals zu verneigen. Man kann davon ausgehen, dass diese 5 Männer eine beträchtliche Summe Geld gespendet haben für den Schrein, deshalb dürfen sie zum Beten so nahe an das Heiligtum heran. Auch hier lässt sich der Einfluss von Geld nicht verleugnen.
Nun geht es zurück in die City von Tokyo, naja, City ist gut, eine City, die 3 mal so groß ist wie ganz Berlin. Ein Teil der Gruppe besucht nun ein landesübliches Theater während wir in der Szene von Ginzo einen Bummel wagen und ein bissle shoppen gehen.
Ein 12-stöckiges Kaufhaus weckt unsere Neugierde. Im ersten Moment denken wir, ja, das ist so aufgebaut wie bei uns zu Hause. Stimmt, nur mit 10 mal so vielen Angestellten, es ist unglaublich, wie viel Menschen hier arbeiten und versuchen, mit einer extrem liebevollen Art, ihre Ware an den Mann oder die Frau zu bekommen. Vor allem Frau, denn der Männeranteil an Besuchern in diesem Kaufhaus liegt mit Sicherheit bei unter 5%. Auch hier scheint der Mann das Geld zu verdienen und die Frau gibt es aus 😉
Wir dachten, auf so vielen Etagen gibt es bestimmt irgendwas Interessantes für Männer. Weit gefehlt, so weit das Auge reicht nur Mode für Frauen, Wahnsinn. In den untersten Etagen finden wir nun doch einen Bereich, der uns ein freudiges Funkeln in die Augen zaubert – die Lebensmittelabteilung. Schnell merken wir, dass der Japaner gerne fertiggerichtete Speisen mitnimmt und zu sich nimmt. Um sich das besser vorstellen zu können, wird alles aus weichem Kunststoff nachgebaut und ausgestellt – und zwar mit viel Liebe zum Detail! Sehr viel Fingerfood wird angeboten, das eine und andere riecht auch richtig lecker, bei näherem Hinschauen, wird es dem Europäer dann allerdings doch bissle anders, was man hier so alles scheinbar essen kann. Das Meer als Grundlage für essbare Handelsware – das ist uns inzwischen klar geworden.
Die Menschen sind freundlich und sehr höflich, reagieren wir mit einem lupenreinen „Ko’nichi wa“, ist die Freude auf Seiten der Japaner groß und der Mund verwandelt sich in ein Lächeln, das jedes Eis schmelzen würde.
Beim Bummeln und umherschauen faszinieren uns 2 Dinge: Frauen und Sauberkeit. In Japan macht jede Frau, egal wie alt, egal ob hübsch oder weniger hübsch, das Beste aus sich. Hier wird sehr großer Wert auf das äußere Erscheinungsbild gelegt und es verwundert nicht, als wir erfahren, dass die japanische Frau viele 1000 Jen in Mode und Schönheit investiert und das Resultat lässt sich wirklich anschauen. Wir sind ehrlich begeistert. Dann die Sauberkeit. Das ist schon verblüffend. Eine Riesenmetropole, Millionen von Menschen, aber wir sehen keinen Müll, da fahren keine Zigarettenstummel auf dem Boden rum, da liegen keine Papiere und sonstiger Müll auf der Straße und – man findet allerdings auch nur ganz schwer einen Mülleimer. Das hat seine Gründe, die Regierung hat die Bevölkerung dazu gebracht, den Müll, der fabriziert wird, einfach einzupacken und mit nach Hause zu nehmen. Ein einfaches und effektives Prinzip das an dieser Stelle zur Nachahmung empfohlen wird.
Auf unserem Streifzug durch die Stadt müssen wir doch immer wieder schmunzeln. Dazu gibt es mehrere Anlässe: fragen wir einen Japaner und er versteht uns nicht, dann läuft er nicht weg, sondern versucht jemanden zu finden, der uns versteht. Das Wort NEIN scheint genauso wenig zu existieren wie das Zugeständnis „Ich weiß es nicht“ oder „Ich kann Euch nicht helfen“. Die Vielzahl der Beschäftigungen sind auch eine Erklärung für die scheinbar niedrige Arbeitslosigkeit, zumindest gehen 25% der Japaner keiner geregelten Arbeit nach, sie jobben nebenher und zahlen nichts in die Rentenkasse ein. Manches ist schon kurios um nicht zu sagen, sogar abstrakt. An jeder Baustelle in der Stadt, egal wie klein sie auch sein mag, stehen 2 uniformierte Menschen, die darauf aufpassen, dass alles ordnungsgemäß verläuft. An einer Bodenwelle steht ein Mensch mit leuchtendem Laserschwert und Megaphon und weist ununterbrochen die vorbeikommenden Leute darauf hin, dass man hier die Füße ein bissle höher heben muss …
Der Weg führt uns durch den Harmariko-Garten. Eine sehenswerte Naturanlage inmitten der Stadt, ein Garten zum Lustwandeln, viel gepflegtes Grün, hübsche Teiche, unzählige Fischreiher, die am Rand sitzen und darauf warten, dass die Fische aus dem Teich hüpfen.
Schließlich kommen wir zum Hafen, wo wir ein Schiff entern, mit dem wir dann 45 Minuten durch Tokyo fahren. Vom Wasser aus bekommt man eine schöne Sicht auf die unterschiedlichen Baustile und Bauwerke.
Der Abend bricht herein, die Stadt wird noch bunter und lebendiger, man braucht die bewegte Leuchtreklame hier wie die Luft zum Atmen. Wir sind inzwischen zu einem Lokal unterwegs, das bei mir gemischte Gefühle hervorruft – ein Sushi-Lokal.
Nun ja, ich, der eher selten Fisch zu sich nimmt, soll nun rohen Fisch, rohe Muscheln, rohen Tintenfisch, roh roh roh essen und das in Verbindung mit Seetang, das einen Geruch an sich hat, wo mir ein Vergleich auf der Zunge liegt, den ich hier nicht wiedergeben möchte. Zum Glück gibt es auch einen Hauch von Reis, Reis in fester und flüssiger Form.
Doch zuerst trete ich in einen riesigen Fettnapf. Wie das? Man muss sich vorstellen, die Tische sind knapp über den Boden eingelassen, unter den Tischen ist eine Aussparung für die Beine, die Schuhe müssen ausgezogen werden und so lässt man sich zu Tische nieder. Da ich alles gerne korrekt machen möchte, wandert mein aufmerksamer Blick umher und bleibt an diversen Latschen hängen. Die sehen so aus, als ob sie zum Essen dazu gehören. Schnell schlupfe ich hinein und begebe mich zu Tisch – ein fataler Fehler, wie sich schnell herausstellt. Das sind nämlich die Schuhe, die nur für die Toilette angezogen werden, unter dem Gelächter der Anwesenden und den strafenden Blicken der hübschen, aber strengen Bedienung, stelle ich schnell die Schlappen wieder hin und kehre zum Tisch zurück, mit dem Wunsch, als kleine Maus unter dem Tisch mit einem Liter Reiswein einen Platz zu finden.
So, nun wird es ernst, die Bestellungen sind abgeschlossen. Ich bin froh, dass es chlorhaltiges Leitungswasser zum Runterspülen gibt. Der Teller ist liebevoll zubereitet, alles sieht gut und appetitlich aus. Es gibt rohe Muscheln, Seetang, Thunfisch, Fischeier, andere Fische alles roh. Ich sage ja immer, man muss alles probieren, bevor man behaupten kann, wie es einem schmeckt, aber allein der Gedanke, dass diese Tierchen vor wenigen Augenblicken noch gelebt haben, erweckt ein gewisses Unwohlsein. So, dann probiere ich jetzt mal.
Dummerweise erwische ich gleich etwas, das mir überhaupt nicht zusagt: die rohen Muscheln im Algenblatt. Habe alles auf einen Bissen reingeschoben, hm, das hätte ich vielleicht nicht machen dürfen, denn jetzt spielte sich in meinem Körper etwas ab, das es bis dahin so noch nicht gab: die Rebellion der Organe. Nun, was soll ich sagen, Geschmacklich katastrophal, eine Konsistenz wie eine Schleimschnecke, Magen und Schaltzentrale (Gehirn) stehen in direktem Konflikt miteinander, der eine sagt, das kommt mir hier nicht ins Haus, der andere kümmert sich nur um sein Ego und meint, das kann man beim besten Willen nicht mehr herauslassen. Da entstehen innerhalb kürzester Zeit Wallungen und innere Regungen die man mit Worten eigentlich nicht beschreiben kann. Letzten Endes hat das Gehirn gesiegt, allerdings mit dem Versprechen an den Magen, in Bälde für einen Ausgleich bei McDonalds zu sorgen.
Beim Sushi gab es noch weitere Elemente, die dann nicht ganz so theatralisch gegessen wurden, der rohe Thunfisch war recht lecker, dafür gab ich Andi meine roten Fischeier und die gelben Fischeier lies ich einfach stehen, das war einfach zu viel des Guten. Allerdings gab es auch einen angenehmen Begleitumstand namens Reiswein. Nimmt man diesen in rauen Mengen und heißem Zustand zu sich, durchläuft der Mensch an sich in Sachen Humor und Verhaltensweisen eine gewisse Veränderung.
Japanische Deutschfreunde, die begeistert waren, dass wir zu Besuch in Japan sind, haben dann gleich noch 5 Karaffen Reiswein spendiert, was zu einer illustren Runde beitrug, über deren Verlauf nur Lustiges und Angenehmes zu berichten ist…
Jeder Tag neigt sich zu Ende und die Zeitverschiebung hinterlässt immer noch Spuren grausamer Müdigkeit, deshalb holen wir uns beim 24-Stunden-Markt noch schnell einen Absacker und gehen dann halbtot schlafen.