Tag 9

9. Tag – Donnerstag, 30.10.2008     –     Reiebericht anhören und nebenher die passenden Bilder anschauen ?

 

Rundfahrt und Erlebnistour durch Kyoto

Wir sind das erste Mal in einem Hotel, wo Asiaten und Europäer getrennt frühstücken, wobei das mit Sicherheit nichts mit Diskriminierung zu tun hat, vermutlich dachte man sich, dass es für eine „wohligere“ Atmosphäre sorgt, wenn man „unter sich“ ist. Auch hier ist das Frühstück üppig und vielseitig. Das erste Mal esse ich am frühen Morgen Haifischflossensuppe – wow, das ist entgegen meiner bisherigen fischigen Erfahrungen richtig gut.
Am Vormittag steht uns ein Bus zur Verfügung, der uns zu den einzelnen Besichtigungspunkten in Kyoto bringt. Natürlich könnte man Laufen, aber dann würden wir außer Laufen nichts mehr anderes machen. Die Stadt zieht sich endlos hin. Wir hören das Wort Tempel und Heiligtum und denken im ersten Moment, auweia, wohin soll ich mit 800 Tempel-Fotos? Aber heute liegt der Schwerpunkt auf dem Drumherum, sprich die Außenbereiche und Gartenanlagen.
Was wir hier zu sehen bekommen ist wirklich einzigartig. Die japanische Blumensteckkunst ist ja ein Begriff, doch hier geht es um großflächige und doch detailierte, liebevolle Landschaftsgestaltung. Darin ist der Japaner Meister. Da steckt ein Riesenaufwand an Zeit dahinter, wir sehen Angestellte, die die Blätter einzeln auflesen. Aber mich wundert nichts mehr, nachdem ich einen Busfahrer gesehen habe, der seine Reifen mit Gummipolitur abgerieben hat, der andere im Motorraum reinigungstechnisch mit der Zahnbürste unterwegs war, fehlt jetzt nur noch der Gärtner, der seine Grashalme mit der Nagelschere schneidet. Wahnsinn, aber supertoll angelegt.
Das sorgt für eine entspannende Atmosphäre – bis zu dem Zeitpunkt, als die Schulklassen ihre Klassenfahrten begannen und die gleichen Sehenswürdigkeiten wie wir zur selben Zeit in Augenschein nehmen. Alle tragen Uniformen und sind unheimlich diszipliniert, trotzdem lässt sich eine gewisse Unruhe bei solchen Massen nicht verhindern. Wir tragen es mit Fassung und hoffen durch unsere zurückhaltende Art, das Image von „Deutschen im Ausland“ ein wenig aufzumöbeln.
Es scheint im Übrigen zu funktionieren, da wir öfters auf Englisch angesprochen werden und Dinge gefragt werden. Sind wir nun wirklich Europäer oder sind wir – wie auf dem Flughafen beschrieben – Aliens?? Naja, manchen Blick ergattert man mit dem Eindruck, der Gegenüber hat tatsächlich noch nie einen Geijin (…) – eine Langnase gesehen – dabei sind wir doch so harmlos 😉
Schönheit der Flora – Fauna sieht man hier relativ wenig – mit diesem Eindruck stürzen wir uns ins Stadtleben. Auch hier ist es auffällig, wie gut die Japaner im Allgemeinen gekleidet sind. Endlose Shopping-Straßen geben natürlich auch genügend Möglichkeiten, für ein gutes Outfit zu sorgen. Und Geld haben die Japaner genügend, das sieht man schon an den aufgemotzten Autos – ach, diese Freiheit im Veredeln und Tuning, das wären für mich paradiesische Zustände.
Zur Mittagspause wagen wir uns in einen japanischen Fastfood-Laden, den MOS-Burger. Es sind gleiche Preise wie bei McDonalds, aber ich muss ganz klar sagen, diese Burger hier schmecken um einiges besser!
Anschließend bekommen wir noch ein paar Tipps und Instruktionen, danach haben wir einen „freien“ Nachmittag! Jeder kann tun und lassen was er will und sich versuchen zurechtzufinden in Kyoto.
Nun ist Shopping angesagt. Wir fahren zum Handy-Craft-Center, einer Einrichtung, in der die süßesten Japanerinnen mit einem perfekten Englisch dafür sorgen, dass man Dinge braucht und kauft, die mit Sicherheit auf keiner Einkaufsliste stehen. Hier ist man schon ein wenig auf Kommerz aus, aber, man hat auch wirklich eine große Auswahl, von gut und günstig bis hin zu qualitativ wertvoll und teuer. Über 7 Etagen kämpfen wir uns mit großen Augen durch, nur weil ich hier unbedingt was einkaufen möchte. Tatsächlich finde ich auch etwas, natürlich ist auch was für Daddy dabei. Meine Frau wird mich für verrückt erklären, wenn ich mit dem Drachen-Kimono durch die Wohnung laufe. Sollte ich dasselbe in Ehningen machen, dann war es das, dann holen mich die grünweißen (bald blauschwarzen) Männchen ab…
Im Anschluss daran versuche ich in einem Musikladen japanische Musik zu kaufen. Über unzählige Rolltreppen geht es hinauf bis zur 9. Etage – Gelegenheit die kurzen Röcke und schönen Schuhe der Japanerinnen zu bewundern.
In der Musikabteilung versuche ich mit Händen und Füssen und in mehreren Sprachen der Verkäuferin klar zu machen, was ich haben möchte – mit Erfolg, ich freue mich nun auf schöne J-Pop-Balladen zu Hause.
Die Zeit ist vorangeschritten und wir müssen Gas geben, da wir mit unseren sächsischen Freunden zum Abendessen verabredet sind. Ich habe genaue Vorstellungen, wo wir langgehen müssen – Andi teilt sie nicht mit mir, Gott sei Dank, ich würde vermutlich noch am nächsten Tag mit rauchenden Sohlen, ausgehungert und verdurstet als Gespenst durch die langen Straßen von Kyoto umherirren… Mit Andis Hilfe kommen wir gerade noch rechtzeitig zum Treffpunkt.
Ganz ohne Reiseleitung kommen wir mit dem Taxi am Bahnhof an. Ein Bahnhof, der das Vorstellungsvermögen eines Menschen, dem man sagt, es handelt sich hier um eine große Bahnhofshalle – sprengt. Man muss es einfach gesehen haben! Das ist ein Milliardenprojekt welches unsere Bahnhöfe in Leipzig und Berlin einfach mal eben so verblassen lässt. Mit Worten lässt es sich vielleicht so beschreiben: Gigantisch, Überdimensional, Intergalaktisch, von allen guten Geistern verlassen…Man sollte die Bilder dazu anschauen 😉
Während wir den Bahnhof mit allem was dazu gehört – Restaurants, Geschäfte, besichtigen kommt plötzlich ein junger Japaner mit Kamera auf uns zu und versucht uns mit allen Mitteln gebrochen englischer Sprache und einer Vielzahl an Gebärden zu verstehen zu geben, was er möchte. Wir drehen einige gedankliche Kreise und es dauert ein bissle an Zeit bis wir wissen, was er vorhat.
Seine Freunde heiraten nächste Woche und er möchte, dass Ausländer oder schöner gesagt, ausländische Touristen auf japanisch mit viel Tamtam einen Glückwunsch in die laufende Kamera sprechen. Nach einigem Hin und Her klappt es und der Mini-Spot ist in der Kamera. Man glaubt es kaum, wie glücklich man diese Menschen hier mit so wenig machen kann. Überschwänglich dankt er uns und es würde uns nicht wundern, wenn wir in irgendeiner Form im Internet oder zumindest auf einer Hochzeitszeitung auftauchen würden.
Nun stöbern wir durch das gigantische Bahnhofsgebäude auf der Suche nach etwas Essbarem – die Auswahl ist groß, doch als wir plötzlich ein Lokal entdecken mit eingelassenen Herdplatten in den Tischen, fällt uns die Entscheidung nicht mehr schwer.
Das Essen wird entgegen unserer Meinung zwar nicht direkt auf dem Tisch zubereitet, vielleicht haben wir dazu auch einfach das Falsche bestellt 😉 – aber das Essen stimmt unsere kulinarischen Bedürfnisse äußerst zufrieden.
Scheinbar waren die 38 Kilometer durch Kyoto noch nicht genug, denn irgendjemand hat die glorreiche Idee, den Weg zum Hotel zu Fuß zurückzulegen. Ok, wir haben Zeit, und so machen wir uns auf die qualmenden Socken. Wir kommen an einem Lokal vorbei in dem wir unseren jungen, japanischen Freund mit der Hochzeitsgeschichte entdecken. Wir stehen vor dem „Schau-Hinein-Fenster“ und er bemerkt uns. Wie von der Tarantel gestochen steht er auf und verlässt einfach so das Lokal und kommt auf uns zu. Es ist unglaublich, wir haben ja für unsere Verhältnisse nicht viel getan, trotzdem bedankt er sich noch zig mal und erzählt uns, dass er den Spot bereits an seine Freunde weitergeschickt hat und diese hellauf begeistert sind.
Wie war das? Eine gute Tat an jedem Tag oder „die Freude die wir geben, kehrt ins eigene Herz zurück“ ? So ist es, uns so können wir glücklich den Tag beschließen und freuen uns auf den letzten Urlaubstag, bevor es wieder in Richtung Heimat geht. Man könnte hier noch extrem viel Erleben, aber dohoim isch halt au dohoim!